Topographien der Gestik - Versuch über die Zeit (2020/21)
(NRW-Stipendium 2020)
Installationsansichten: Sequenz I / II
Topographien der Gestik - Versuch über die Zeit
Kann es ein sinnliches Korrelat des Unanschaulichen geben? Wie lässt sich Zeit jenseits
ikonographischer/symbolischer Verweise in der Faktur eines Gemäldes zur Wirkung bringen und darstellen? Topographien der Gestik/Versuch über die Zeit sucht (als work in progress) in der Herstellung eines Raum und Zeit verbindenden Bilderzyklus, nicht zuletzt in Anlehnung an Notationspraktiken der ‘Zeitkunst’ Musik, die eigenen, zeitspezifischen Momente der Malerei zu befragen und zu entgrenzen.
Gleich einem Kraftdiagramm bindet diese vielgliedrige Arbeit das Gestisch Skripturale/ Schriftliche meiner Malerei, ihren Bewegungsimpuls, in den Gesamtzusammenhang einer Notation ein, in der der in der Farbsubstanz erstarrte Bewegungsstrom der einzelnen Bilder in ein zeitliches Gefüge rückgebunden wird.
Hierbei fungieren die variablen Querformate mit ihrer wuchernd - auflösenden Bewegungs-struktur in ihrer potentiell unendlichen Reihung als horizontale Zeitachse, die in einer Gegenbewegung von clusterartig verdichteten Vertikalen (‘close up‘) oder Stelen (Schriftbilder) geschnitten werden: Standbilder im Fluß der Zeit. Zeit wird hier rhythmisch gegliedert: Beschleunigung und Verlangsamung, gedehnte und gestauchte Zeit als Exponenten unterschiedlicher Zeitordnungen und Zeitebenen (Techniken der Aus-, Ein- und Überblendung). Konkretion und Verflüchtigung der bildnerischen Erscheinungsformen thematisieren hierbei Nähe und Ferne als räumliche und zeitliche Dimensionen.
Die Formation des Zyklus nimmt das schon in den Einzelbildern angelegte “all-over” als Sprengung der Bildgrenzen auf, um raumgreifend das einzelne Bild in die Abfolge größerer Sequenzen zu integrieren. Geradezu auf das sukzessive Abschreiten der polymorphen Verlaufsform angelegt, bindet die raumgreifende Installation die einzelnen Kraftfelder der Einzelbilder als Aktionspartituren gleich einem Verlaufsprotokoll aneinander, verknüpft das Räumliche mit dem Zeitlichen.
Der Allusionscharakter der gestisch-informellen Formungsprozesse in den ‘Skripturen’ verknüpft mit der Assoziation landschaftlich-floraler Motive, in ihrem Werden und Verfallen, das Skripturale/Schriftliche mit dem Naturhaften/ Prozesshaften: skripturale Malerei als figurative Schrift, Verwandlung des Gestischen zur abschreitbaren ‚Landschaftsformation‘.
Skripturale Malerei als technisches Procedere ist hier zu verstehen als fortlaufender Abtragungs-, und Zerstörungsprozess, in dem durch Ritzungen und schriftähnliche Traktierungen der Oberfläche bis hin zu flächigen Abtragungen untere Bildschichten freigelegt werden und Neues, Unvorhergesehenes entstehen lassen
(Umkehrung von Positiv und Negativ). In der ‘verlorenen Spur’ (gleich einer Blindprägung) ist der vorausgegangene gestische Bewegungsimpuls eingefroren. Diese Gestik orientiert sich hierbei nicht an abbildenden Verfahren sondern sucht über den freien Körperimpuls dynamische Formationen zu erzeugen (Zufall und Ähnlichkeit), die im Gesamtkontext des Bildes Motivisches evozieren: Emergenz als Ziel malerischer Strategie.
Als Topographien der Geste, ob handschriftlich in den Textfeldern situiert oder gestisch-informell in den vegetabilen Texturen, korrespondieren Schreiben und Malen - aufeinander bezogen und sich durchdringend - als Spuren und Chiffren des Lebendigen: Zeitgestalten zwischen Erscheinen und Verschwinden, Entstehen und Verfallen, Erinnern und Vergessen.
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Einmontiert als vertikale Schrifttafel (Stele) ist in Sequenz II die Handschrift meiner Mutter aus dem Gemälde ‚Nachklang‘ von 2002 (Unschärfe/Unlesbarkeit der Schrift, Bedeutung der Handschrift als sinnlich-bewegte Gestalt, Entsemantisierung, Formen der Abwesenheit, Erinnerungsspeicher, Ineinander von Nähe und Ferne).
Je nach den spezifischen Bedingungen des Ausstellungsraumes kann die Arbeit als fortlaufende Präsentation gleich einem Erzählstrang installiert oder in einzelne Sequenzen unterteilt werden, die, gegenübergestellt, als Fragment aber auch als je eigenständiges, geschlossenes Gefüge untereinander kontrastieren und verschiedene
Schwerpunkte und Fokussierungen des Themas beleuchten (s. hierzu die Montage von Sequenzen in den Entwürfen).
Grössenangaben und Technik sind in den Installationsansichten nachzulesen